facetten 2011 linz

Margit Mayr: betrachtungen über die stadt

in der stadt, in der ich geboren bin, lebe ich noch immer.

nicht, dass ich nicht fremdgereist wäre. viele jahre habe ich wo anders verbracht, mir andere kulturen, andere lebensmodelle angeschaut. manches hat mir nicht gefallen, vieles begeistert und doch hätte ich auf dauer nirgends bleiben wollen als hier, wo ich mich zu hause fühle, aus welchen gründen auch immer.

gescheite köpfe haben sich darüber gedanken gemacht, wo mensch sich zuhause fühlt. das sei dort, wo die familie lebt, wo man freunde hat, wo die muttersprache gesprochen wird usw.usw. was auf mich zutrifft, weiß ich nicht. tatsache ist, ich habe schönere flecken kennen gelernt und doch wollte ich nur hier, in dieser meiner stadt, dauerhaft leben.

etwas bewegt habe ich mich schon, schließlich bin ich von dem stadtviertel, in dem ich aufgewachsen bin nach norden gezogen, über den fluss in eine andere gegend, eine noblere, weg von der arbeitersiedlung ins villenviertel. aber das war nicht geplant, zufällig eher und nun wohne ich schon so lange hier, länger als meine jugendzeit und alle auslandaufenthalte zusammen. mein lebenspartner stammt aus der stadt, meine kinder sind hier groß geworden. zwar sind sie längst in unsere globalisierte welt ausgeschwirrt - in alle kontinente - doch auch sie sind zurückgekehrt und bleiben, vermutlich - auch sie sind hier zu hause.

ich habe die stadt in all den jahrzehnten erforscht, erwandert und all ihre entwicklungen genau verfolgt.

oftmals bin ich in den stadtteil meiner kindheit gefahren und habe den hof aufgesucht, wo ich erwachsen geworden bin. wie klein bot sich die riesige spielstätte von damals meinem heutigen blick. gefällt, die großen bäume, wäsche- und klopfstangen um die hälfte reduziert, vermutlich weiß die zweite hälfte gar nicht mehr, wozu sie gut waren. verschwunden die plaudernden, strickenden mütter auf den bänken, die sandkisten der sandkuchenbackenden kinder, die voller eifer abschießen spielenden jugendlichen……
nur der parkplatz, einst spärlich mit den wenigen vw-käfern der besserverdienenden besetzt, ist nun prall gefüllt. vier suv’s erspähte ich da und ein cabrio!
heimlich musterte ich die schilder an unsere ehemaligen haustür – ich entdeckte ausländische namen, vorwiegend jugoslawische und türkische. nur zwei der früheren nachbarn waren mir noch vertraut. viele waren weggestorben, viele ausgezogen. das einstige arbeiter- nun ein migrantenviertel.

meine wege führten mich überall hin in der stadt.

in den südlichen teil, wo zwei schulfreundinnen wohnten, eine im zeichen der industrialisierung im aufbau begriffenenen arbeiterbezirk vor dem fluss, der die stadt dort quert, die andere dahinter gegenüber der dort stationierten kaserne, deren mauern viel erzählen könnten, errichtet, wie viele andere bauten der stadt im größenwahn einer zeit vor meiner zeit,  einer zeit, die nicht nur die bürger dieser stadt gerne vergessen würden.

in die innenstadt, wo sich die tanzschule befand, in der ich meine ersten schritte in eine neue, leichtfüßig vergnügliche welt ohne pflichten tanzte.
in eine der vornehmen villen auf dem hügel im westen, wo meine erste liebe lebte, beide hat es nicht in der stadt gehalten, weder die liebe noch die person, die dazu gehörte.
andere stadtteile lernte ich später durch verschiedene arbeitsstellen und den fahrten dorthin kennen. oftmals mit öffis, deren ausbau in alle richtungen vorangetrieben wurde und deren erscheinungsbild sich über die jahre dem jeweiligen zeitgeist anpasste, sprich, sich genauso verwandelten wie ihre umgebung oder wie ich mich, nur wurden die immer neuer, während ich…. na, ja.

auch freundschaften entwickelten sich quer durch die stadt und mit ihnen neue bezugspunkte und ansichten. ein brauch unter freunden war lange zeit der spaziergang durch den schönen botanischen garten der stadt, ein wundervoller ort der entspannung, aber auch des lebhaften austausches, nirgends kann man sich schweigend so gut unterhalten wie unter diesen prächtigen pflanzen im wechsel der jahresszeiten. heute sind es mehr die verschiedenen friedhöfe, die ich besuche. sie haben ihr gesicht am wenigsten verändert und schweigend unterhalten hat hier geradezu tradition.



alle wandlungen in meiner stadt habe ich über die jahre ziemlich bewusst miterlebt:

vom greisslersterben in den 70ern bis zu deren wiederkehr in den tankstellenshops der gegenwart.
vom einzigen großen kaufhaus im zentrum, das es zwar immer noch gibt, dem aber unzählige geschäfte straßauf, straßab folgten - shoppen war noch kein begriff der eine ganze generation vereinnahmte.
vom autobahnbau, der einen stadtteil zeriss und ihn jahrzehnte später durch eine untertunnelung wieder zusammenfügte.
von den gewaltigen banken, spitals- und versicherungsbauten, die noch gewaltigeren gewichen sind.
von traditionellen kulturstätten über revolutionäre alternativspielstätten bis zum megamodernen opernhaus, das bis zu seiner realisierung alle gemüter spaltete, 
während der ultramoderne wiederaufbau des einst abgebrannten schlossflügels und der neubau eines kunstmuseums unkommentiert blieben, da nicht kleinformatig angeprangert.
von sportstätten, die untergegangen und neuen die aufgeblüht sind.
vom hässlichen entlein bahnhof, der zum schönen schwan wurde.
von bibliotheken und museen, die erhalten, umgestaltet, neu errichtet wurden.
nicht zu vergessen die kirchen,  von der 1000-jährigen über die klassisch moderne zum dom,  ja auch die synagoge wurde wiederaufgebaut, das mindeste was die politik als versöhnungsgeste im hinblick auf die grauenhaften taten des ungeliebtesten sohnes dieser stadt tun konnte.

der alte kern meiner stadt zeigt einen großen platz, darum gruppiert, was von der altstadt erhalten blieb. mitten auf dem platz die goldglänzende säule, erinnernd an die dankbarkeit der menschen, dass der tod in gestalt von feuer, pest und krieg die stadt endlich verlassen hatte. in unseren breiten braucht der gevatter dieses furiose szenario nicht mehr, um reiche beute zu machen. heute geht er subtiler vor, man hört und sieht ihn nicht und es wird keiner mehr da sein, dem ende seines treibens ein denkmal zu setzen. 

die stadt lebt auch durch ihren hafen, weil sie an einem mächtigen strom liegt, der sie mit halb europa verbindet.  das bedeutet natürlich industrie und diese war es auch, die die stadt reich gemacht hat, deren abgase jedoch nicht nur die lebensqualität der bewohner sondern vor allem ihren ruf beinahe ruiniert hätten. da gab es einen weit bekannten slogan, der sie verunglimpfte und ihren namen auf etwas unangenehmes reimte. der spruch ist geschichte, ersetzt durch einen neuen, hoffnungsvollen, der meiner stadt eine vision unterstellt - zurecht,  denn viel war geschehen in all den jahren, der kreative mensch hat sich zu helfen gewusst und  die entscheidungsträger haben einmal alles richtig gemacht. die wälder auf den hügeln rund um die stadt sind zur grünen lunge geworden, die stadt und ihre bürger können wieder frei atmen.

jenseits des stromes, wo sich die stadt malerisch in dörflicher struktur ausbreitet, zeigt sie ihre widersprüchlichkeit in illuminierten prachtbauten und danebenliegenden riesigen parkflächen für des menschen heilige kuh, das auto, fluch und segen als synonym  zum strom.
von dort der weg hinauf zum berg zur wallfahrtskirche, die konkurrierend mit putzigen zwergen es – deshalb oder trotzdem? -  nie geschafft hat, zum einzigen wahrzeichen der stadt aufzusteigen.

der blick hinunter auf die noch immer bestehenden wehrtürme, trutzig an die kämpfe mahnend, die um die stadt ausgetragen wurden. die kämpfe sehen anders aus heute und werden über die straßen ausgetragen. diese werden immer breiter und ausgebauter, aber doch dem verkehrsaufkommen nicht gerecht, so wenig wie der wohnungsbau dem wohnungsbedarf, aber nicht weil die bewohneranzahl der stadt so zugenommen hätte, nein, weil die gesetze der modernen gesellschaft immer mehr singles produzieren. ein begriff, den es in meiner jugend nicht gab, der aber die wohnungsnot von damals auch heute noch am laufen hält.

ja, sie hat sich entwickelt meine stadt und ich mich mit ihr. ob etwas stillstand zwischendurch, etwas reflexion, ihr und mir gut getan hätte - wer weiß ……….?
es ist wie es ist, stelle ich in leichter abwandlung des berühmten liebesgedichtes von erich fried fest. denn um liebe handelt es sich allemal, bei meinen betrachtungen über die stadt.

Margit Mayr (Maxi Mayr-Kunz)
ich bin linzerin, 58, weltoffen, da weitgereist.
texte begleiten mein leben, da war ich fleißig.
wenig veröffentlicht, da war ich faul.
verheiratet seit 35 jahren, darauf bin ich stolz.
mutter von 2 großartigen kindern, darüber bin ich glücklich.
sekretärin in einem architekturbüro, das ist ok.
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