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Ernst Reinhard Schöggl: Mit Strindberg zur Hölle

PROLOG STRINDBERG

Gestatten Sie, mein Name ist Strindberg, Johan August Strindberg. Eigentlich komme ich aus dem Norden, aus Schweden, aber meine Berühmtheit lässt mich auf der ganzen Welt daheim sein, ganz besonders hier, wo der Donaufluss seine Nebel aufsteigen lässt in den kalten Himmel und aus den Erdspalten und Schluchten das Höllenfeuer entgegen lodert, um uns irgendwann zu verbrennen und als Rauch aufsteigen zu lassen wie die Nebel des großen Stroms. Ich sei verrückt, erzählt man sich. Keine Sorge, ich bin es nicht mehr als ihr. Mein Fehler war, dass ich meine Zeit mit sinnlosen Experimenten verschwendet habe, welche für die Menschheit letztlich unnütz sind. Gold! Wen kümmert heute noch das Gold? Uran hätte ich herstellen sollen, Bomben bauen. Ich habe die Hölle gesehen, ich habe sie gespürt, und ihr? Ihr lebt in ihr und merkt es nicht einmal (lacht höhnisch). Wer ist nun verrückt, ihr oder ich? Ich habe in die Hölle geschaut und ihr, ihr wisst nicht einmal, dass ihr schon längst am Abgrund steht. Habt nur weiter viel Spaß, er wird euch schon noch vergehen! Feiert nur weiter, eure Feier wird bald genug zum Feuer, das euch verbrennt! Freut euch auf die Hölle! Was klärt ihr noch Morde auf und sühnt die Verbrechen, wenn ihr Bomben baut, ihr Idioten, Bomben, die alles verbrennen? Ich war verrückt, weil ich den Teufel gesehen habe, und ihr seid es, weil ihr ihn nicht mehr seht. Alles Gute und viel Spaß weiterhin!


1. Bild: Schlucht (Bub, Lehrerin, Polizistin, Chefinspektor Dörr)
 
Ein Bub sondert sich von der Gruppe ab, die Lehrerin schreit ihm vergebens hinterher, er entdeckt hinter einem großen Stein eine Leiche. Er schreit, die Lehrerin kommt ihm entgegen (Dialog). Sie überzeugt sich selbst, ruft per Handy die Polizei. Eine Polizistin erscheint, sperrt alles ab.
Dörr erscheint. Er  befragt die Lehrerin und den Buben. Dialog zwischen Dörr und der Polizistin.

Lehrerin: Martin – Maartin! Verflixter Rotzlöffel, wo steckst du schon wieder? Martin!
Martin (aufgeregt): Frau Lehrerin, Frau Lehrerin, da oben (zeigt mit dem Finger Richtung Höhle)
Lehrerin: Du weißt genau, dass du dich nicht von der Gruppe entfernen darfst. Wie oft habe ich dir das …...
Martin: Da oben, da hinten, hinter dem Stein …..
Lehrerin: Was ist da hinten?
M: Da hinten liegt eine Leiche
L: Was sagst du da? Du bist verrückt! Das wird ein Tier sein, ein verendetes Tier, ein angeschossenes Reh vielleicht. Ich schaue nach. Du bleibst hier stehen und rührst dich nicht vom Fleck, hörst du!
M: Es ist aber eine Leiche!
L(rennt zur Höhle und sieht nach, schreit): Heilige Mutter Gottes! Es ist wahr. Es ist wirklich wahr. (Sie kramt ein Handy hervor). Hallo, Polizei, bitte kommen Sie sofort, hier in der Schlucht liegt eine Leiche, verstehen Sie, eine Leiche! Ich bin hier auf Wandertag mit den Kindern. Nein, natürlich rühren wir nichts an, versprochen, ich halte die Kinder fern.
M: Ich habe es gewusst, es ist eine Leiche, eine echte Leiche!
L: Ja, ja, weil du dich nie an die Regeln hältst und dich herumtreibst, wo du nicht sollst. Darüber reden wir noch. Jetzt lauf zurück zur Gruppe und sag ihnen, sie sollen sich ja nicht vom Fleck rühren, bis ich komme. Ich warte inzwischen hier auf die Polizei. Ihr könnt inzwischen die Jausenbrote essen, hörst du? Sobald die Polizei da ist, komme ich nach. Und jetzt lauf schon!
Lisa Friberg (stellt sich vor): Lisa Friberg. Können Sie mir den Fundort zeigen? Der Chef kommt gleich nach. Wie haben Sie die Leiche gefunden?
L: Einer meiner Buben hat sich von der Gruppe entfernt, unerlaubterweise,  da hat er sie entdeckt.
L F: (sie geht Richtung Höhle, beugt sich über die Leiche, schreckt zurück)
Grauenhaft! Es könnte sich um eine Frau handeln. Sie muss angezündet worden sein. Im Moment können wir nicht mehr tun. Da müssen Arzt und Spurensicherung her. Außerdem brauchen wir Scheinwerfer für den Fotografen. Ich veranlasse alles und Sie sprechen inzwischen mit Chefinspektor Dörr. (Dörr tritt auf) Hierher Leo, es ist tatsächlich eine Leiche und ich fürchte, es handelt sich um ein Gewaltverbrechen (Dörr streckt der Lehrerin die Hand hin, stellt sich vor und besichtigt die Leiche. L.F. telefoniert)
Dörr: So, jetzt erzählen Sie, von Anfang an.
L: Da gibt es nicht viel zu erzählen, Herr Chefinspektor. Wir haben Wandertag und die Gruppe ist hier vorbeigekommen. Martin, ein ausgesprochener Lausbub, ist etwas hinten geblieben und ist dort zu der Höhle hin, ohne dass es mir gleich aufgefallen wäre. Ich bin dann sofort zurückgelaufen, um ihn zu suchen, da ist er mir schon schreiend entgegengekommen. Zuerst habe ich ihm nicht geglaubt, aber dann bin ich hin zu dem Stein und habe gesehen, dass dort wirklich eine Leiche liegt. Ich habe dann sofort angerufen.
Dörr: Sie sind ganz allein mit der Aufsicht betraut? Niemand sonst? Keine Begleitperson?
L.: Lehrermangel, Sie wissen ja! Und wenn von den Eltern niemand freiwillig mitkommt, ist man allein, allein gegen alle! Da habt ihr es noch besser, bei euch sind sie zu zweit, wenn sie Streife gehen.
Dörr: Wer weiß, wie lange noch...Wo ist Martin jetzt? Kann ich kurz mit ihm reden?
L: Ich hole ihn, die Gruppe wartet weiter oben
L.F.: Ich habe alles veranlasst, sie sind in 30 Minuten da. Ich habe ihnen auch gesagt, dass sie große Scheinwerfer brauchen.
Dörr: Sehr gut. Danke.
Die Lehrerin entfernt sich, Dörr und L.F. starren auf die Leiche
Dörr: Was meinst du?
L.F.: Wahrscheinlich weiblich, Alter schwer zu sagen bei dem Zustand. Die Leiche wurde angezündet. Das Feuer dürfte aber verfrüht ausgegangen sein, vielleicht der Regen. Jedenfalls ist die Leiche angekohlt, aber nicht richtig verbrannt. Das könnte bei der Identifizierung von Vorteil sein.
Dörr: Das wird auch so noch schwierig genug sein. Der Täter wollte Spuren verwischen.
L.F.: Oder die Täterin
Dörr: Es könnten auch zwei oder mehrere gewesen sein, wer weiß?
L.F.: Wer schleppt eine Leiche hier herauf und zündet sie an?
Dörr: In den Donauauen wäre das leichter gewesen, eine Leiche loszuwerden. Normalerweise fischen wir die Leichen aus der Donau, wenn sie sich in den Kraftwerksrechen verfangen.
L.F.: Vielleicht war es eine Art Ritualmord?
Dörr: Wie kommst du denn darauf?
L.F.: Weil hier die Hölle ist. Wusstest du das nicht?
Dörr: Die Hölle? Willst du mich jetzt zum Narren halten?
L.F.: Aber Leo, wie könnte ich! Sagt dir der Name Strindberg etwas?
Dörr: Flüchtig. Ein schwedischer Dichter, stimmt's? Wie kommst du auf den?
L.F.: Weil er hier in der Gegend gelebt hat mit Frau und Kind. Ein ziemlicher Kauz soll er gewesen sein, dieser Strindberg, der Frau und Kind später im Stich gelassen hat. Und hier, in der Schlucht, soll er Höllenvisionen gehabt haben. Die sind sogar in die Weltliteratur eingegangen. Für Strindberg war also hier die Hölle. Inferno hat er seinen Roman genannt.
Dörr: Und was hat das mit unserem Fall zu tun?
L.F.: Na ja, vielleicht hat hier auch jemand solche Visionen gehabt und ein wenig Hölle gespielt.
Dörr: Meinst du nicht, dass das etwas weit hergeholt ist?
L.F.: Mag sein, war ja auch nur so ein Gedanke. Der Bub ist da.
Dörr: Du bist also Martin, der Entdecker?
M,: Ja.
Dörr: Nun erzähl einmal, Martin. Weshalb bist du hier herauf gelaufen?
M.: Ich musste pinkeln.
Dörr: Und da hast du die Leiche gesehen?
M.: Ja.
Dörr: Und dann?
M.: Dann bin ich sofort los gerannt und habe geschrien, aber die Frau Lehrerin hat mir nicht geglaubt.
Dörr: Wenn du nicht gewesen wärst, hätte man die Leiche womöglich lange nicht gefunden.                                                                                         M.(triumphierend zur Lehrerin): Bekomme ich jetzt eine Belohnung?
L.: Eine Strafe gehört dir, weil du dich unerlaubt von der Gruppe entfernt hast. Was da nicht alles passieren kann!
Dörr: Ich schlage vor, dass wir diesmal von einer Strafe absehen und als Belohnung lade ich dich morgen während der Schulzeit auf das Präsidium ein.Dort machen wir zusammen ein Protokoll und dann zeige ich dir das Polizeigefängnis. Einverstanden?
M.: Super.
L.: Pädagogisch ist das aber nicht gerade.
Dörr: Pädagogisch vielleicht nicht, aber logisch. Wenn sich immer alle an alle Vorschriften halten würden, dann hätten wir ein paar Helden weniger auf dieser Welt. Übrigens, ich darf sie ersuchen, morgen gleich mit- zukommen, wegen des Protokolls.                                                                      L.: Wenn es sein muss! Jetzt aber muss ich zurück zu den Kindern, sonst hauen noch ein paar ab und finden Leichen.
Dörr: Na, davor bewahre uns der liebe Gott, mit der einen haben wir genug Arbeit. Noch wissen wir gar nichts. Noch eine letzte Frage: Sagt Ihnen der Name August Strindberg etwas?
L.: Nein, wer soll das sein?
Dörr: Und dass hier die Hölle ist, wissen Sie auch nicht?
L.: Sie meinen, mit einer Horde Kinder auf Wandertag zu sein und eine Leiche zu finden?
Dörr: Dann bis morgen im Präsidium.
L.F.: Sie hat keine Ahnung, weder von Strindberg, noch von der Hölle.
Dörr: Und woher weißt du so genau Bescheid?
L.F.: Ich bin in Schweden aufgewachsen, meine Mutter ist Schwedin. In Schweden weiß jedes Kind, wer Strindberg war. So wie in Österreich Mozart, ist Strindberg in Schweden eine Art Nationalheiliger.
Dörr: Ein Heiliger mit Höllenvisionen?
L.F.: Du musst nicht alles wörtlich nehmen. Aber ich schlage vor, wir machen anschließend noch einen kurzen Abstecher nach Saxen. Dort gibt es ein kleines Museum, das August Strindberg gewidmet ist, übrigens das einzige außerhalb Schwedens. Es ist zwar klein, aber fein. Und wenn du einmal etwas für deine Fitness tun willst, dann wandere die Schlucht hinauf bis zur Burg Klam. Du wirst sehen, es lohnt sich.
Dörr: Du meinst also, ich soll die Hölle durchwandern? Hat das nicht noch etwas Zeit?
L.F.: Wer weiß? Außerdem steht zu befürchten, dass du einmal geradewegs in den Himmel kommst, und dann hast du das Beste verpasst, mein Lieber.
Dörr: Aber du begleitest mich! Wann hast du Zeit?
L.F.: Geh lieber mit deiner Familie, du bist schließlich verheiratet. Das soll doch angeblich der Himmel auf Erden sein.
Dörr: Aber mich interessiert die Hölle jetzt mehr, schon rein beruflich, und da kennt sich offensichtlich niemand so gut aus wie du, Lisa.
L.F.: So, meinst du?
Dörr: Lassen wir das jetzt. Ich schlage vor, du kümmerst dich hier um alles und ich treffe mich mit dem Bezirkskommandanten zu einer Lagebesprechung. Vielleicht ist in der Zwischenzeit auch schon eine Vermisstenmeldung hereingekommen. Wir könnten uns dann später im Museum in Saxen treffen.
L.F.: Oder daneben in der Konditorei, falls das Museum geschlossen ist.
Dörr: Ich bin aber auf Diät.
L.F.: Aber ich nicht! Also dann, bis später.

Ernst Reinhard Schöggl
geboren 1948 in Perg, OÖ, Matura am Akademischen Gymnasium in Linz, Studium der Altphilologie und Germanistik an der Universität Salzburg, Mag.phil., Professor am BORG-Perg, Oberstudienrat.
Bücher erschienen im Verlag Bibliothek der Provinz: Stammtisch- Betrachtungen, 2005, bereits vergriffen, Wer ist Franz? - Gartenzwerge nach Trinidad, Satiren 2006, Das Waldhaus, Kriminalroman 2007, Mit Strindberg zur Hölle, Kriminalroman 2008, Wolf im Katzenpelz, Satyresken 2008, Clamlinde, Kriminalroman 2009, bereits vergriffen, Von Mord zu Mord durchs schaurige Mühlviertel, Kriminalgeschichten 2010, Das Juvenat. Schule und Erziehung im Umbruch, Autobiografisch-dokumentarischer Roman 2010.

Homepage: http://www.erschoeggl.at/
Kontakt: eschoeggl@hotmail.com

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